Im letzten Artikel haben wir darüber gesprochen, was Stress für uns auf biologischer Ebene bedeutet und welche negativen und positiven Effekte Stress haben kann. Daraus haben sich, zur Erinnerung, die folgenden drei Stresskomponenten ergeben:
(1) Unser Leben ist so verstrickt und kompliziert, dass wir gestresst sind, ohne einen klaren Weg, diese Stressoren zu beseitigen.
(2) Dadurch ist unser Körper den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von anhaltendem Stress ausgesetzt.
(3) Wir können nicht von den gesundheitsfördernden Prozessen der Stressregeneration profitieren, weil wir nicht aus dem Stress herauskommen.
Und entsprechend ergeben sich drei verschiedene Strategien, die dabei helfen können, uns vor dieser Gefahr zu schützen.
(1) Veränderung unserer Lebensumstände.
(2) Verbesserung unserer Stressresilienz.
(3) Ermöglichung der Stressregeneration.
Heute werden wir uns ansehen, wie wir diese drei Strategien angehen können. Fangen wir mit der ersten Strategie an. „Veränderung der Lebensumstände“ ist immer leichter gesagt als getan. Aber manchmal kann es helfen, sich die bewusste Zeit zu nehmen, die eigenen Gesamtsituation des Lebens zu betrachten und sich vor Augen zu führen, was einen eigentlich alles wirklich stresst. Manchmal kann dieser Prozess aufdecken, dass wir Dinge mit uns herumschleppen, obwohl wir das gar nicht müssten. Vielleicht gibt es Aufgaben, die uns stressen, die wir an andere Leute delegieren können. Vielleicht gibt es Gespräche, die wir führen können, die jahrelang schwelende Konflikte beilegen könnten. Vielleicht gibt es Menschen, denen wir verzeihen können, und dadurch die Last unseres Grolls ablegen. Und vielleicht gibt es Familie und Freunde, die wir um Hilfe bitten können. All das sind Dinge, die die Gesamtlast des Stresses verringern können.
Die zweite Strategie konzentriert sich direkt auf unseren Umgang mit Stress. Der Fachbegriff dafür wäre „Resilienztraining“. Wenn wir Resilienztraining betreiben, dann stärken, bzw. entwickeln wir bestimmten Kompetenzen und Eigenschaften, die uns erlauben, mit mehr Souveränität auf bestimmte Situationen zu reagieren. Hier verändern wir als nichts an den äußeren Umständen, sondern fokussieren uns auf unseren Umgang mit diesen Umständen. Das Ziel dabei ist es, weniger emotional und kognitiv beeinflusst zu werden, und dadurch weniger unter Stress zu geraten. Manchmal ist es unmöglich, die äußeren Umstände zu verändern, aber wir haben immer zu einem gewissen Grad die Wahl, wie wir auf diese Umstände reagieren wollen. Wenn ihr mehr über Resilienztraining erfahren möchtet, findet ihr weitere Artikel dazu auf unserem Blog.
Viktor Frankl, der drei Jahre in Konzentrationslagern verbringen musste, und dort fast alle Mitglieder seiner Familie verlor, schreibt in seinem Buch „… trotzdem ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“:
„Alles kann einem Menschen genommen werden, nur eine Sache nicht: die letzte der menschlichen Freiheiten – die Wahl der Einstellung zu den gegebenen Umständen.“
Dieses Zitat wird häufig als Paradebeispiel dafür verwendet, wie sehr unsere Lebenserfahrung abhängig ist, von der Einstellung, mit der wir dem Leben begegnen. Wenn es selbst unter solchen menschenverachtenden Umständen noch möglich ist, Kontrolle über die eigene Haltung zum Leben zu bewahren, dann ist es wahrscheinlich immer möglich. Und die Haltung, die wir einnehmen, bestimmt letztlich unsere Lebenserfahrung. Sie ist wie eine Art Filter, der die gleichen äußeren Umstände, auf die eine oder andere Weise interpretieren kann. Und es gibt eben solche Interpretationen, die tendenziell schädlich für uns sind und solche, die tendenziell hilfreich sind. Und dasselbe gilt auch für unseren Umgang mit Stress. Wie wir Stress sehen, bzw. die Dinge in unserem Leben, die Stress auslösen und wie wir auf sie reagieren, bestimmt den Grad an Stress, dem wir ausgesetzt sind. Daraus ergibt sich eine weitere Strategie – nämlich unsere Haltung gegenüber dem Stress selbst.
Den meisten von euch wird vermutlich der Begriff „Placebo-Effekt“ bekannt sein. Im klinischen Kontext, zeigt sich der Placebo-Effekt dadurch, dass Menschen, die ein Blindpräparat (Placebo), das biologisch wirkungslos ist, einnehmen, häufig dieselben positiven Effekte erleben, wie die Menschen, die echte Medikation einnehmen, solange sie glauben, das echte Medikament bekommen zu haben. Hand in Hand damit geht der sogenannte „Nocebo-Effekt“, bei dem die Erwartung einer negativen Auswirkung, diese Auswirkung hervorruft. Beides sind sozusagen selbsterfüllende Prophezeiungen. Wenn wir glauben, dass uns etwas krank macht, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir krank werden. Wenn wir glauben, dass uns etwas gesund macht, dann ist es wahrscheinlicher, dass wir gesund werden. Und dieser Effekt lässt sich auch nachgewiesenermaßen in unserer Einstellung zu Stress beobachten. Wer eine positive Einstellung zu Stress hat, vielleicht weil ihm/ihr vor allem die leistungssteigernden Effekte davon bekannt sind, oder weil er/sie den Rausch der Aufregung liebt, wird auch stärker von den positiven Effekten von Stress beeinflusst als von den negativen. Und dasselbe gilt für die umgekehrte Situation. Wer Stress nur im negativen Licht sieht, nimmt dadurch auch mehr körperlichen Schaden durch Stress.
Für manche mag diese Tatsache unplausibel klingen, aber das ist sie überhaupt nicht. Die Tatsache, dass unsere Gedanken und Überzeugungen unseren Körper beeinflussen können, ist überhaupt nicht verwunderlich. Schließlich kann ich auch meinen Arm heben, einfach, indem ich es will. Ich kann mir vorstellen, von einem Tiger angegriffen zu werden, und diese Vorstellung löst eine Kettenreaktion in meinem autonomen Nervensystem aus. Nichts davon sollte verwunderlich sein, denn schließlich ist es mein Gehirn, indem das Denken stattfindet, und mein Gehirn ist Teil meines Körpers. Es ist sogar der Teil, der am stärksten mit allen anderen Teilen vernetzt ist und deren Arbeit reguliert und überwacht. Entsprechend ist es nicht überraschend, dass auch Überzeugungen und Erwartungen physiologische Veränderungen herbeiführen können, wie es eben auch bei Stress der Fall ist.
Wenn es also um unseren Umgang mit Stressoren geht, können wir entweder durch Resilienz Training unsere Widerstandskraft stärken, oder eben auch durch unsere Interpretation und Erwartungshaltung gegenüber Stress Einfluss auf dessen Wirkung auf uns nehmen.
Kommen wir also zur dritten Strategie. Wie gesagt, wäre Stress kein so großes Problem, wenn wir in der Lage wären nach eine Stressphase wieder hinreichend zu regenerieren. Aber die Frage ist natürlich, wie wir das mit unserem Leben vereinbaren können. Wie gesagt, sind die meisten Dinge, die uns stressen, schwer greifbar, und noch schwerer auflösbar. Aber wenn wir das Problem nicht lösen können, wie sollen wir dann den Stress loswerden und uns erholen? Hier kommt eine etwas kontraintuitive Strategie ins Spiel. Denn tatsächlich kann es in so einer Situation helfen, sich aktiv einer ganz bestimmten Art von Stress auszusetzen – speziell sportlicher Belastung. Denn wenn ihr euch erinnert, löst diese Art von Belastung im Körper automatisch bestimmte Regenerationsprozesse aus. Wenn wir uns auspowern, unseren Puls in die Höhe treiben und ins Schwitzen kommen, dann werden eben jene Hitzeschockproteine ins System ausgeschüttet, die uns jung und gesund halten. Wenn wir es also nicht hinbekommen, unsere psychologischen Stressoren aufzulösen, weil sie zu allgegenwärtig und komplex sind, können wir uns trotzdem den gesundheitlichen Vorteil der Stressregeneration verschaffen, indem wir unseren Körper direkt einer kurzen und kontrollierten Stressphase aussetzen. Denn nach dieser Phase wird unser Körper automatisch in die Regenerationsphase übergehen, die wir sonst nie erreichen können.
Das ist ein bisschen so als, würde der körperliche Stress dann den psychologischen Stress einfach überschreiben und entsprechend die Kontrolle über die Körpersysteme übernehmen, die wir brauchen, um uns zu erholen.
Wem es also schwerfällt, seinen Alltagsstress loszuwerden und zu entspannen, der kann davon profitieren, seinen Körper durch Sport in Stress zu versetzen. Denn dann wird der Körper einen sozusagen in die Entspannung hineinzwingen, die man sonst nie erreicht. Natürlich kommt es auch hier auf das richtige Maß an. Körperliche Überbelastung kann auch wieder für zu viel Stress sorgen. Deswegen sollte man vielleicht nicht gerade kompetitives Crossfit machen oder jede Woche einen Iron Man laufen. Aber moderater Sport, der den Körper nicht an seine Grenzen bringt, hat einen enormen Nutzen für unsere Gesundheit.
Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, wie ihr Sport und Bewegung in euren Alltag integrieren könnt, lest euch gerne unseren Artikel "mens sana in corpore sano" durch.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen und konntet etwas Hilfreiches für euch herausziehen. Habt einen schönen Rest der Woche und bis zum nächsten Mal.
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