Wenn ich ein Thema auswählen müsste, dass meiner Ansicht nach, besonders relevant ist, für unsere Zeit – sowohl auf der Ebene des Individuums als auch in der globalen Perspektive – dann wäre es Verantwortung.
Und das liegt daran, dass Verantwortung eines dieser Phänomene ist, die vom Kleinen auf das Große übergreifen können. Und dasselbe gilt auch für die umgekehrte Richtung. Eine Gemeinschaft von Leuten, die sich und andere für ihr Verhalten zur Verantwortung zieht, ist eine Gemeinschaft die sowohl individuelles Wohlbefinden als auch globale Nachhaltigkeit erzeugen und aufrechterhalten kann. Sowohl individuelle als auch kollektive Verantwortung können nicht unabhängig voneinander funktionieren. Eine Gesellschaft, die sich als Ganzes nicht verantwortungsbewusst verhält, kann nicht erwarten, dass ihre Mitglieder verantwortlich leben. Und umgekehrt, kann eine Gruppe von unverantwortlichen Individuen nicht erwarten, dass Verantwortung im großen Maßstab wundersam von selbst entsteht.
Manche Menschen sind in der Position globale Veränderungen direkt herbeizuführen, weil ihnen die Mittel und Möglichkeiten dafür zur Verfügung stehen. Aber für die meisten von uns ist das leider nicht möglich. Der Einflussbereich des einfachen Mannes oder der einfachen Frau ist stark eingeschränkt auf seine/ihre direkte Umgebung. Wir können einen gewissen Einfluss ausüben, auf die Menschen, die uns umgeben – Freunde und Familie, vielleicht Arbeitskollegen. Aber wir können keinen direkten Einfluss ausüben auf die politische Landschaft, in der wir leben – ob wir es wollen oder nicht. Klar kann man wählen gehen, aber was danach passiert ist nicht mehr wirklich in unserer Kontrolle. Selbst wenn meine Partei gewinnt, lässt sich nicht wirklich vorhersagen, was sie mit dieser Macht tun werden.
Aber die Tatsache, dass wir so minimalen Einfluss auf das große Ganze ausüben können, bedeutet nicht, dass wir ohnmächtig sind. Selbst wenn du als Bauerssohn irgendwo auf dem Land aufwächst, weit weg von den großen Städten, liegt es immer noch in deinen Händen positive Veränderung herbeizuführen, durch die Art und Weise, wie du dein eigenes Leben lebst – insbesondere durch deine Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Denn wie gesagt – kollektive Verantwortung wurzelt in individueller Verantwortung. Und diese Verantwortung breitet sich nach oben hin aus. Wenn es also manchmal so scheinen mag, als wären alle Türen des politischen Einflusses vor die verschlossen, liegt es in deiner Hand trotzdem Verantwortung zu übernehmen, auch wenn du das Gefühl hast, keine Wirkung ausüben zu können. Aber was dadurch passiert, ist, dass dein Einflussbereich mit der Übernahme von Verantwortung wachsen wird.
Es gibt kein besseres Beispiel für dieses Phänomen als Kindererziehung.
Wenn mein fünfjähriger Sohn sich entscheidet, einen Hammer zu nehmen und damit ein Loch in die Wand zu schlagen, dann ist es meine Verantwortung und mein Wunsch so darauf zu reagieren, dass so etwas nicht noch einmal passiert. Deswegen werde ich ihn behandeln, als wäre er verantwortlich für sein Handeln, auch wenn er das noch gar nicht wirklich sein kann. Er mag den Hammer geschwungen haben, aber er wusste dabei nicht wirklich, dass das, was er tut falsch ist. Trotzdem werde ich ihn so behandeln, als hätte er es gewusst, weil ich weiß, dass das die einzige Möglichkeit für ihn ist zu lernen. Wenn er spürt, dass ich sein Verhalten missbillige und ihn dafür verantwortlich mache, dass ich jetzt die Wand reparieren muss, dann wird er sich dafür schuldig fühlen. Und dieses Schuldgefühl wird die Überzeugung in ihm stärken, dass er für sein Handeln verantwortlich ist. Indem er verantwortlich gemacht wird, kann er lernen Verantwortung zu übernehmen. Wenn man ihn nie verantwortlich machen würde, könnte er es nicht lernen.
In gewisser Hinsicht ist diese Art der Erziehung unfair, denn mein Sohn konnte schließlich nicht wissen, dass das, was er tat falsch war und trotzdem wird er dafür zur Rechenschaft gezogen. Und deswegen müssen wir sehr vorsichtig mit dieser Erziehungsmaßnahme sein. Wir wollen schließlich nicht, dass unser Kind das Gefühl bekommt, ungerecht behandelt zu werden. Deswegen muss mit jeder Bestrafung auch die Möglichkeit angeboten werden, es beim nächsten Mal besser zu machen. Ein Kind sollte sich nicht schuldig fühlen müssen, ohne zu wissen, wie es sich beim nächsten Mal besser verhalten kann. Manchmal müssen wir unseren Kindern mit einer milden Form der Ungerechtigkeit begegnen, weil wir wissen, dass sie dadurch auf lange Sicht verantwortungsvolle Menschen werden können. Diese Ungerechtigkeit kann als kurzfristiger Verzicht für einen langfristigen Gewinn betrachtet werden.
Dieses Beispiel zeigt, dass es manchmal notwendig ist, Verantwortung zu übernehmen, bevor wir wirklich in der Lage sind, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Mit anderen Worten, manchmal müssen wir Verantwortung übernehmen, auch wenn wir noch gar nicht den nötigen Einfluss haben. In diesem Fall muss der Impuls von außen kommen, damit er innen Wurzeln schlagen kann. Denn wenn das Kind nicht lernt Verantwortung zu übernehmen, kann es seine Beziehung zum Rest der Welt nie wirklich verstehen. Wenn ich mein Kind nicht für sein schlechtes Verhalten tadle, dann wird es nicht wissen, dass sein Verhalten schlecht war. Und wenn es das nicht weiß, ist es auch nicht in der Lage, die schlechten Konsequenzen seines Handelns mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Wenn schlechtes zu tun, nicht bedeutet, dass ich schlecht bin, dann kann ich schlechtes tun, ohne mich dafür schuldig zu fühlen – bzw. ohne ein schlechtes Gewissen dafür zu haben. Das bedeutet in der Konsequenz, dass es nicht wirklich in meinem Einflussbereich liegt, gutes bzw. schlechtes zu tun. Ich kann es nicht kontrollieren, weil ich Absicht und Konsequenz nicht richtig in Verbindung bringe.
Wer hingegen lernt Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen wird einflussreicher, da es in seiner Hand liegt, ob er gutes oder schlechtes tut.
Und das gleiche Prinzip gilt auch für erwachsene Menschen. Du magst vielleicht das Gefühl haben keinen Einfluss auf die großen Prozesse zu haben, die die Welt bewegen. Vielleicht hast du das Gefühl, dass unser Wirtschaftssystem ungerecht ist, oder manche Menschengruppen ausnutzt. Und gleichzeitig fühlst du dich winzig und machtlos, daran etwas zu ändern. Aber während es stimmen mag, dass du winzig bist, im Kontext des großen Ganzen, heißt das nicht, dass du machtlos bist. Du kannst Veränderung herbeiführen, aber du musst es so machen, wie es das Kind macht. Du musst zuerst Verantwortung übernehmen – auch für Dinge, von denen du das Gefühl hast, sie (noch) nicht verändern zu können. Aber indem du das tust, vergrößert sich dein Einflussbereich nach und nach, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das folgende Beispiel kann diesen Mechanismus vielleicht veranschaulichen.
Wenn du in Therapie gehst, weil du dich depressiv und überfordert fühlst, und dein Therapeut spricht mit dir über deine Kindheit und du entdeckst, dass all deine problematischen Verhaltens- und Denkmuster daher kommen, wie dich deine Eltern behandelt haben – dann kann dir das einen Weg aus der Verantwortung heraus anbieten. Wenn du das Gefühl hast ein Produkt deiner Vergangenheit zu sein – geschaffen durch äußere Einflüsse und ohne Selbstbestimmung – dann kann diese Interpretation auf eine seltsame Weise Erleichterung verschaffen. Sich selbst so zu sehen kann attraktiv sein, da es einem die Last der Eigenverantwortung abnimmt. Aber es kann auch sehr gefährliche Konsequenzen haben. Denn auch wenn diese Interpretation zu einem gewissen Grad wahr sein mag, bedeutet das nicht, dass die Identifikation mit dieser Interpretation, deine Situation verbessern wird. Diese Geschichte mag dir Trost spenden, aber sie kann dich auch in einem Opfernarrativ gefangen halten, dass dich davon abhält positive Veränderung zu schaffen. Wenn du der Ansicht bist, dass all deine Probleme und Unzulänglichkeiten die Schuld deiner Eltern sind, dann hast du eine Entschuldigung dafür, wie du im Moment bist und eine Rechtfertigung dafür, niemals mehr als das zu sein.
Aber das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass du depressiv und überfordert bist. Höchstwahrscheinlich wird es dieses Gefühl sogar noch verstärken, weil es dadurch gerechtfertigt wird. Jetzt hast du auch noch gute Gründe dafür, dich schlecht zu fühlen und häufig bleiben Menschen bei dem, wofür sie gute Gründe haben, auch wenn es ihnen schadet. Manchmal ist es komfortabler das Opfer der Umstände zu sein, als zu versuchen die Umstände zu verbessern.
Ich will damit nicht sagen, dass psychoanalytische Aufarbeitung der Vergangenheit nicht sinnvoll ist, aber sie geht mit einer gewissen Gefahr einher. Die Vergangenheit hält oft den Schlüssel zu besserem Selbstverständnis, aber wir müssen vermeiden, in der Vergangenheit stecken zu bleiben. Wer sich als Opfer seiner Vergangenheit sieht, ist Sklave seiner Vergangenheit. Die Vergangenheit ist nicht der Ort, an dem wir Veränderung bewirken können. Das machen wir in der Gegenwart und mit Blick auf die Zukunft.
Man sollte seine Vergangenheit nutzen, um herauszufinden, wie man die Gegenwart verbessern kann. Wenn deine Kindheit dir das Herz gebrochen hat, dann musst du die Bruchstellen genau unter die Lupe nehmen, um herauszufinden, wie du es wieder zusammensetzen kannst. Das wäre ein Akt der Verantwortung. Denn ungeachtet der Tatsache, dass du nicht schuldig daran sein magst, wer du heute bist, bist du verantwortlich dafür, wer du morgen sein wirst.
Und das Gleiche gilt auch für das große Ganze. Wenn du das Gefühl hast, nichts an den Ungerechtigkeiten deiner Zeit verändern zu können, dann solltest du dich fragen, wie du zu jemandem werden kannst, der etwas verändern kann. Damit will ich nicht den Eindruck erzeugen, dass Verantwortung zu übernehmen einen auf wundersame Weise einflussreicher macht. Aber es ermöglicht einem den eigenen Einfluss nach und nach zu vergrößern. Denn wofür ich mich nicht verantwortlich sehe, das werde ich auch nicht verändern können. So funktioniert der Mensch nun mal. Es liegt in deiner Hand, zu entscheiden, dein Leben einer Sache zu verschreiben, die positive Veränderung herbeiführen wird. Diese Art der Hingabe setzt häufig eine Energie in Menschen frei, die sie davor gar nicht von sich kannten.
Wenn du das Gefühl hast, dass unser Bildungssystem defekt ist, dann gibt es heute mehr Möglichkeiten als je zuvor, die dir zur Verfügung stehen. Du kannst beispielsweise alternative Bildungskanäle über das Internet schaffen, die die Vielfalt an Qualitäten von Schülern besser anerkennen. Und wenn du nicht weißt, wie so etwas geht, dann kannst du es leicht herausfinden, indem du die schier endlosen Ressourcen in Anspruch nimmst, die unsere Zeit so bietet. Schließlich ist die ganze Welt nur noch einen Klick entfernt. Wenn du das Gefühl hast, dass die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft Frauen behandelt, ungerecht ist, dann kannst du einen Blog darüber schreiben und diesem Problem größere öffentliche Anerkennung verschaffen. Wenn du dich dieser Sache wirklich verschreibst, dann werden Leute auf dich aufmerksam werden und du kannst Netzwerke von Gleichgesinnten schaffen, oder sogar Firmen gründen, die deine Sache vorantreiben.
Was ich hier sagen will, ist dass es genügend Türen gibt, durch die du treten kannst, um die Welt zu verändern. Die Frage ist, ob du den Mut hast sie zu öffnen. Wenn jeder Mensch es sich zu einer Routine machen würde, sich jeden Tag hinzusetzen und sich vor Augen zu führen, wie elastisch die Grenzen seines Einflusses wirklich sind, dann würden wir in einer Gesellschaft der Selbstbefähigung (Empowerment) leben. Denn wenn du weißt, was du verändern könntest, ist es schwerer deine Untätigkeit mit deinem Gewissen zu vereinbaren. Das ist die Kraft, die entstehen kann, wenn man transparent mich sich selbst lebt. Die Wahrheit kann einem manchmal in den Arsch treten und dafür sorgen, dass man sich an die Arbeit macht.
Mit all dem will ich nicht den Eindruck erwecken, dass jeder Mensch hart arbeiten und sich mit Disziplin einer Sache verschreiben sollte. Was ich sagen will, ist dass wenn du das Gefühl hast, dass die Dinge anders stehen sollte, als sie es im Moment tun, du höchstwahrscheinlich auch einen Weg finden könntest, diese Veränderung voranzutreiben. Wenn du Veränderung wünschst, egal wie groß der Maßstab sein mag, dann kannst du dazu beitragen, aber eben nur wenn du deine eigene Verantwortung in der Veränderung anerkennst. Wenn du das Gefühl hast, dass wir als Kollektiv den Planeten ausbeuten, dann kannst du deinen Teil beitragen, indem du als Individuum das Gegenteil tust. Du kannst sagen, „ich bin Teil des Problems, also finde ich einen Weg es zu lösen.“ Es kann gut sein, dass du damit nicht erfolgreich sein wirst, aber an einer guten Sache zu scheitern ist besser als es nie zu probieren. Und wer sich nicht verantwortlich sieht, wird auch nichts probieren.
Ich hoffe euch hat dieses Thema gefallen. Und wenn ja, dann habe ich gute Neuigkeiten, denn es werden noch mehr Einträge zum Thema Verantwortung kommen. Habt einen schönen Tag und bis zum nächsten Mal.
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