Vor einer Weile haben wir darüber gesprochen, wie man Sport und Bewegung nutzen kann, um die geistige Gesundheit zu verbessern. In diesem Artikel möchte ich gerne darüber sprechen, wie inwiefern geistige Gesundheit auch im Rückschluss einen Einfluss auf die körperliche Gesundheit haben kann. Insbesondere schauen wir uns den Einfluss von Stress auf unsere körperliche Gesundheit an. Und im nächsten Artikel besprechen wir dann einige Methoden, die uns dabei helfen, Stress zu lindern, bzw. uns auf gesunde Weise von Stress zu erholen.
Wie wahrscheinlich einige von euch wissen, kann psychologischer Stress sich negativ auf unsere körperliche Gesundheit auswirken. Wenn wir über lange Zeiträume hinweg unter Dauerstress stehen, ohne Möglichkeit uns wirklich vollständig davon zu erholen, kann diese Stressbelastung eine biologische Kettenreaktion auslösen, die unserer Gesundheit schadet.
Aber es ist wichtig zu verstehen, dass Stress an sich eine extrem nützliche Funktion hat. Die Hauptaufgabe, die Stress in unserem Körper erfüllt, ist Ressourcen und Energie zu mobilisieren, damit wir besser auf unsere Umwelt reagieren können. Wenn wir unter Stress geraten, sendet unser Gehirn Signale an unsere Nebennieren, die daraufhin die Hormone Adrenalin und Cortisol in erhöhtem Ausmaß ausschütten. Die Rolle dieser beiden Hormone, ist es den Körper für eine Kampf-oder-Flucht Reaktion vorzubereiten. Dabei wird der Sympatikus aktiviert – der Teil unseres motorischen Nervensystems, der ganz allgemein gesagt für Anspannung zuständig ist. In den Muskeln und der Leber gespeicherte Glukose wird als Energiequelle zur Verfügung gestellt, und die Atemwege weiten sich, um mehr Sauerstoff aufnehmen zu können. Gleichzeitig erhöht sich als Reaktion auf Adrenalin der Energieverbrauch im Körper. Allen überlebenswichtigen Organen wird mehr Energie zur Verfügung gestellt, darunter auch dem Gehirn. Daraus resultieren eine erhöhte Aufmerksamkeit, Konzentration, Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. Gleichzeitig wird die Ausübung von nicht-überlebenswichtigen Prozessen im Körper vorübergehend blockiert, wie Verdauung und Speichelproduktion. Das heißt, der Parasympatikus, auch das vegetative Nervensystem genannt, wird vorübergehend blockiert.
Man könnte sagen, dass die Stressreaktion fast eine Art Superkraft ist, durch die wir über unsere normalen Grenzen hinausgehen können. Das klingt eigentlich nicht so schlecht. Und trotzdem kann Stress derart gesundheitsschädlich sein. Der Grund dafür liegt in der Art des Stresses, bzw. den Umständen, die es uns manchmal nicht erlauben, in eine Stressregenerationsphase überzugehen.
Die Funktion von Adrenalin und Cortisol im Körper kann analog verstanden werden zu einer Lachgaseinspritzung in einen Benzinmotor. Lachgas enthält mehr Sauerstoff als normales Benzin. Dadurch kann eine Leistungssteigerung von bis zu 50% erzielt werden. Wenn Lachgas aber zu exzessiv verwendet wird, kann die erhöhte Temperatur dafür sorgen, dass bestimmte Teile des Motors schneller verschleißen, als es unter normalen Bedingungen der Fall wäre. Ähnlich wie der Motor seine Abkühlungsphase braucht, braucht auch der Körper eine solche Phase, nachdem er von Stresshormonen geflutet wurde. Wenn diese „Abkühlung“ nicht passieren kann, kommt es zu einem Verschleiß in unterschiedlichsten Körpersystemen, darunter dem Verdauungstrakt, dem Herzkreislaufsystem, dem Stoffwechsel, dem zentralen Nervensystem und dem Immunsystem. Mit anderen Worten, unser ganzer Körper ist dem negativen Einfluss von Stress ausgesetzt. Daher ist es kein Wunder, dass vier der fünf häufigsten Todesursachen in Deutschland – Herzkreislauferkrankung, Krebs, Atemerkrankungen und Alzheimer – mit Stress assoziiert sind.
Aber wenn Stress derart zerstörerisch ist, sollten dann nicht alle Lebewesen, die unter starkem Stress leben, ähnliche Symptome aufweisen? Ist es nicht so, dass das Zebra in der Savanne eigentlich einem größeren Stress ausgesetzt ist, wenn es ständig vor Raubtieren flüchten muss, als wir modernen Menschen, die kaum jemals um unser Leben fürchten müssen?
Es scheint so, als müssten Zebras auch von Geschwüren und Krebs und Herzinfarkten getötet werden, aber das ist nicht der Fall. Tatsächlich sind all diese chronischen Erkrankungen, quasi nichtexistent bei Tieren, die in der freien Wildbahn leben.
Und der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass es sich dabei um unterschiedliche Arten von Stress handelt. Der Unterschied ist so groß, dass Stress im Falle des Zebras tatsächlich positive gesundheitliche Auswirkungen hat, während er bei uns negative Auswirkungen hat. Das heißt, das Zebra wird durch seinen Stress gesund gehalten, während wir davon krank werden. Wie kann das sein?
Die Art des Stresses, dem das Zebra ausgesetzt ist, lässt sich anhand einer Kurve beschreiben, die sehr schnell sehr steil ansteigt, dann für ein paar Minuten, oder auch nur Sekunden an der Spitze bleibt und dann wieder rapide absinkt. Es gibt einen einzigen, klaren Auslöser für den Stress – nämlich das Raubtier und sobald diese Gefahr überwunden wurde, kann die Stressregeneration einsetzen.
Die Situation, in der wir uns als Menschen befinden sieht etwas anders aus.
Zum einen gibt es meist keinen klaren singulären Auslöser für unseren Stress. Stress ist etwas, das latent im Hintergrund steht, und durch unterschiedlichste Aspekte unseres Lebens ausgelöst und aufrechterhalten wird. Wir fahren morgens im Auto zur Arbeit und sind schon leicht nervös, weil wir wissen, dass ein Berg vor uns liegt, den wir nicht wirklich besteigen können, in der Zeit, die uns zur Verfügung steht. Gleichzeitig gibt es noch dieses Gespräch, das wir gestern mit der Partnerin/dem Partner hatten, das noch unabgeschlossen im Hintergrund steht. Und dann noch die Kranke Mutter, die wahrscheinlich in eine Pflegeeinrichtung eingewiesen werden muss. Und die Kinder, die jetzt bald in die Pubertät kommen. Und so weiter und so fort. Keine dieser Sachen hat die Intensität eines Raubtierangriffs und dennoch halten sie uns gefangen, in einem Netz der Anspannung. Unser Unterbewusstsein, sorgt dafür, dass der Stress stetig aufrechterhalten bleibt, um sicherzustellen, dass wir immer vorbereitet sind, wenn etwas passieren sollte. Dadurch befinden wir uns in einer Situation, die vielleicht zu vergleichen ist, mit einem Reh, dass durch ein Gewässer waten muss, bei dem Krokodile an allen Ufern zu sehen sind. Die Gefahr ist nicht wirklich unmittelbar, aber sie ist sichtbar in der Ferne. Sie ist nicht nah genug, um eine Flucht-oder-Kampf Reaktion auszulösen, aber nah genug, um unseren Körper darauf vorzubereiten. Und dieser Zustand des „Vorbereitet seins“, löst eine anhaltende Ausschüttung von Stresshormonen aus. Unser Leben ist wie eine endlose Flussüberquerung, bei der wir niemals wirklich angegriffen werden, aber stets unter Anspannung leben und vorbereitet darauf, dass etwas passieren könnte. Zumindest ist das die Interpretation unseres Unterbewusstseins, das ja nicht weiß, dass wir nicht wirklich in Gefahr sind. Es spielt keine Rolle, dass die Stressoren unseres Lebens eigentlich nicht lebensgefährlich sind. Die Stressreaktion bleibt die Gleiche. Aber durch diese Umstände ändert sich die Stresskurve für uns auf signifikante Weise. Statt einer spitz ansteigenden und dann abfallenden Kurve, erreicht unsere Stresskurve ein Plateau, und bleibt dort. Da die Dinge, die uns stressen, meist latent im Hintergrund stehen und keine einfache Lösung haben, bleiben wir verstrickt im Zustand des moderaten Dauerstresses. Dadurch bleibt uns die Möglichkeit zur Entspannung vorenthalten. Wir leben also in einer Überaktivierung des Sympatikus, und verhindern dadurch, die durch den Parasympatikus ermöglichte Stressregeneration.
Der Grund dafür, dass Zebras keine Geschwüre, Herzinfarkte oder Alzheimer bekommen, ist, dass die Aktivierung des Parasympatikus dafür sorgt, dass Reparaturen am System vorgenommen werden können, die bei uns ausbleiben. Wenn durch die Überbelastung des Stresses Zellbausteine kaputtgehen, sorgt die darauffolgende parasympathische Reaktion (die Entspannung) dafür, dass diese Bausteine wieder repariert werden. Aber wenn dieser Prozess ausbleibt, häufen sich nach und nach die Bruchstellen im System und die Wartungsmannschaft sitzt zuhause und dreht Däumchen. Das ist das, was in unseren Körpern passiert, wenn wir Dauerstress ausgesetzt sind.
Aber, wie gesagt, ist es nicht nur so, dass eine natürliche Stresskurve auf gesunde Weise verarbeitet werden kann. Es ist sogar so, dass diese Art von Stress den Körper noch gesünder hält, als es ohne diesen Stress der Fall wäre. Denn wenn die Wartungsmannschaften losgeschickt werden, dann reparieren sie nicht nur das, was durch den Stress direkt Schaden genommen hat, sondern auch alle möglichen anderen Verschleißerscheinungen im Körper. Ein Beispiel dafür ist die Ausschüttung von sogenannten Hitzeschockproteinen (HSP) in der Zelle, die durch bestimmte Stressoren ausgelöst werden kann. HSP suchen nach beschädigten Proteinen in der Zelle und helfen dabei, sie wieder neu zu falten, sie verhindern die Ansammlung bestimmter Proteine und verbessern die Proteinstabilität im Allgemeinen. Außerdem helfen sie dabei die Mitochondrien der Zelle zu reparieren, die für die Energieproduktion in unserem Körper verantwortlich sind. Und es gibt weniges im Körper, dass so stark mit allgemeiner Gesundheit korreliert, wie die Gesundheit unserer Mitochondrien.
Mit anderen Worten, die Entspannungsreaktion, die nach einer Stressphase im Körper losgetreten wird, spielt eine integrale Rolle dabei uns gesund zu halten. Wenn wir aber im Dauerstress leben entsteht dadurch ein Doppelpack an Problemen. Zum einen schädigt der Stress aktiv und anhaltend unseren Körper. Zum anderen werden die Reparaturprozesse unterdrückt, die diesem Problem entgegenwirken würden.
Unser Problem besteht also aus den folgenden drei Komponenten. (1) Unser Leben ist so verstrickt und komplex, dass wir gestresst sind, ohne einen klaren Weg die Stressoren zu beseitigen. (2) Dadurch ist unser Körper den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von anhaltendem Stress ausgesetzt. (3) Wir können nicht von den gesundheitsfördernden Prozessen der Stressregeneration profitieren, weil wir nicht aus dem Stress rauskommen.
Und entsprechend ergeben sich drei verschiedene Strategien, die dabei helfen können, uns vor dieser Gefahr zu schützen. (1) Veränderung unserer Lebensumstände; (2) Verbesserung unserer Stressresilienz; (3) Ermöglichung der Stressregeneration.
Im nächsten Artikel werden wir uns diese drei Strategien genauer ansehen und besprechen, wie wir diese am besten in unseren Alltag einbauen können.
Ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen und ich freue mich darauf, euch beim nächsten Mal wieder hier begrüßen zu dürfen. Habt ein schönes Wochenende.
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